Ursprünglicher Artikel auf Englisch von Sanj Srikanthan (CEO von ShelterBox), übersetzt von Zoey Weddige.
Die G7 kommen nach Cornwall. Die Einwohner von St. Ives haben Karten mit Verbotszonen und Umleitungen für die Küstenwege erhalten. Auf der Hauptstraße nach Falmouth riecht es nach neuem Asphalt und frischer Farbe. Das Medienzentrum beim Maritimen Museum nimmt Gestalt an.
Bei all dem “Wird es nun auf Zoom sein oder doch nicht?”, den Straßensperrungen, den Ängsten vor Störungen, den Schlagzeilen… Werden die dringenden, auf dem Tisch liegenden, globalen Herausforderungen, übersehen?
Die Folgen des Super-Taifuns Goni im November, dem stärksten Sturm auf den Philippinen seit dem Taifun Haiyan (2013).
“Build back better” („Besser wiederaufbauen“)
Vom 11. bis 13. Juni werden zwölf Staats- und Regierungschefs der Welt zusammenkommen, um einige der größten Probleme anzugehen, denen unsere Welt heute gegenübersteht. Neben Deutschland nehmen die G7-Mitglieder Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und die USA, sowie die EU teil. Gastländer sind Australien, Indien, Südkorea und Südafrika.
Da Großbritannien die G7-Präsidentschaft für 2021 innehat und im November Gastgeber der COP26 (der Klimakonferenz der Vereinten Nationen) sein wird, liegt es an dessen Staats- und Regierungschefs, die Richtung des Gipfels vorzugeben und den Verpflichtungen im Laufe des Jahres und darüber hinaus nachzukommen. Sie planen, „führende Demokratien zu vereinen, um der Welt zu helfen, das Coronavirus zu bekämpfen und eine grünere und wohlhabendere Zukunft zu schaffen“.
Aber was bedeutet „besser wiederaufbauen“ (auf Englisch “build back better”) in der Praxis? Für ShelterBox sind die Ziele des Gipfels untrennbar mit dem wachsenden Bedarf an Notunterkünften weltweit verbunden.
Boris Johnson trifft sich im Mai mit den Y7 (Youth 7). Foto: Simon Dawson/No 10 Downing Street
Erholung vom Coronavirus
Die globale Erholung von COVID-19 – das Länder zum Stillstand gebracht, die Wirtschaft in die Knie gezwungen und weltweit Millionen von persönlichen Tragödien verursacht hat – wird ganz oben auf der Tagesordnung stehen.
Für viele Menschen, die durch verheerende Katastrophen oder Konflikte ihre Heimat verloren haben, ist das Coronavirus nur eine weitere Krise zusätzlich zu anderen. Ein überfüllter Schutzraum gegen Zyklone scheint der denkbar schlechteste Ort zu sein, um sich in dieser Pandemie aufzuhalten – es sei denn, man hat keine andere Wahl: Wenn etwa der schlimmste Sturm dieses Jahrhunderts naht (Zyklon Amphan, Golf von Bengalen). Social Distancing ist ein lohnenswertes Ziel, um die Ausbreitung einzudämmen – bis ein Vulkan einen obdachlos macht und man bei einer Gastfamilie einziehen muss (Taal-Vulkan, Philippinen).
Notunterkünfte (beispielsweise Zelte), spielen eine wichtige Rolle bei der Begrenzung der Ausbreitung der Pandemie, indem sie den Menschen helfen, sich in kleineren Gruppen zu isolieren. Aber wir müssen uns nachhaltig anstrengen, um die gleiche und gerechte Verteilung der Impfstoffe auf der ganzen Welt zu gewährleisten, damit jeder vor diesem Virus geschützt ist.
Wir fordern die G7 auf, sich daran zu erinnern, dass ein Zuhause – das so oft als erste Verteidigungslinie während des Lockdowns und der Selbstisolierung hochgehalten wird – kein Schutzschild ist, das jeder an seiner Seite hat. Entscheidend ist auch, sicherzustellen, dass Impfstoffe nicht nur in die Länder verschifft werden, die sie benötigen, sondern die logistischen Gegebenheiten geschaffen werden, um sie (manchmal gekühlt) auch innerhalb der betroffenen Länder zu jeder einzelnen Gemeinde transportieren zu können.
Syrien, 2020.
Eine grünere Zukunft? Zeit, sich an die Gegenwart zu erinnern
Die Gäste des Carbis Bay Hotels sitzen bei dem Gipfel gemütlich in exklusiven Lodges, die mithilfe von 500 Millionen Pfund teuren Küstenschutzmaßnahmen vor den Gezeiten und sogar vor außergewöhnlichen Stürmen geschützt werden. Aber Millionen Menschen auf der Welt genießen diesen Luxus nicht. Sie haben keine Häuser, die dem immer extremer werdenden Wetter in unserer sich erwärmenden Welt standhalten können, geschweige denn einem „Jahrhundertsturm“.
Es gibt unbestreitbare Beweise dafür, dass der Klimawandel extreme Wetterereignisse verschärft. Er trifft Gemeinden in den Teilen der Welt, die für solche Wetterereignisse anfällig sind und wenig Mittel haben, um mit den Folgen fertig zu werden. Dadurch entsteht ein noch nie dagewesener – und ungedeckter – Bedarf an Notunterkünften. Die Unterkünfte, die wir bereitstellen, sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den Häusern, die jetzt durch Katastrophen gefährdet sind, und dem längerfristigen Ziel einer nachhaltigen, dauerhaften Unterkunft für alle.
Von der „Netto-Null-G7“, die den Klimawandel schon fest auf die Tagesordnung gesetzt hat, brauchen wir auch Zusagen für die Menschen, die bereits unter seinen Auswirkungen leiden.
„Jetzt regnet es mehr als vorher, und die Sommer sind heißer“ – Sagarika verlor ihr Haus durch den verheerenden Super-Zyklon Amphan im Jahr 2020.
Die Klimakrise ist eine humanitäre Krise. Für Millionen von Menschen ist sie tägliche Realität. Genau jetzt. Heftige Stürme reißen Häuser ein. Dürren zwingen Gemeinden, ihre Häuser zu verlassen. Schwindende Ressourcen schüren Instabilität und machen die Menschen anfälliger für Extremismus und Konflikte. Der Tschadsee, heute nur noch ein Zehntel so groß wie noch 1960, bot einst Millionen von Menschen eine Lebensgrundlage. Jetzt treiben die Auswirkungen des Wasserrückgangs Gemeinden in der gesamten Region in Flüchtlingslager und machen sie anfällig für Terrorgruppen wie Boko Haram in Nigeria.
Allein im vergangenen Jahr wurden 30 Millionen Menschen durch wetterbedingte Katastrophen wie Stürme, Überschwemmungen und Dürre zur Flucht gezwungen (IDMC-Bericht GRID 2021). 6 Millionen Häuser gingen verloren. Und die Situation verschärft sich jedes Jahr weiter.
Um diesen Trend umzukehren, sind groß angelegte, globale Lösungen für das Klima unabdingbar – nur werden sie den betroffenen Gemeinden wenig Trost spenden, wenn sich nicht in gleichem Maße für die praktische Unterstützung eingesetzt wird, die heute gebraucht wird. Die Klimakrise ist nicht nur eine zukünftige Krise. Sie findet jetzt statt.
Wohlstand fängt zu Hause an
Während wir die G7-Staats- und Regierungschefs in Cornwall willkommen heißen, hoffen wir gleichzeitig, dass sie sich wie zu Hause fühlen. Wir hoffen, dass sie einen Moment innehalten und die atemberaubenden Landschaften, lebendige Kultur und einzigartige Geschichte zu schätzen wissen.
Aber vor allem hoffen wir, dass sie die bedürftigen Familien auf der ganzen Welt und die Bedeutung von Zuhause im Hinterkopf behalten. Unsere Häuser sind der erste Schritt zum Wiederaufbau und um wieder am Leben teilhaben zu können. Sie sind ein Ort, an dem man wieder lachen, Geschichten erzählen, essen und lernen kann, an dem man sich von einer Krankheit erholt, an dem man wieder arbeiten oder ein Unternehmen gründen kann. Sie sind die Ausgangspunkte für all unsere neuen Pläne und Abenteuer.
Denn wenn man einen Ort hat, den man Zuhause nennen kann, folgt die Hoffnung.
Das Haus von Sebastiana und Patrick wurde während des tropischen Zyklons Harold zu einem sicheren Ort. Sie verloren ihre gesamte Kava-Ernte, als der Sturm im Jahr 2020 durch Vanuatu zog.
Unsere Forderungen an die G7
Wir müssen die G7 auffordern, sich nicht nur weiterhin für eine globale Reduzierung der Emissionen von schädlichen Schadstoffen und Gasen einzusetzen, sondern darüber hinaus das Leben der Menschen zu verbessern, die bereits mit den Folgen des Klimawandels und COVID-19 zu kämpfen haben:
1) Engagement für die Bereitstellung von Notunterkünften für Gemeinden auf der ganzen Welt, die durch unsere sich erwärmende Erde mit verheerenden neuen Katastrophen konfrontiert sind.
2) Unterstützung für längerfristige Projekte, um Ländern zu helfen, sich katastrophenresistente Unterkünfte und nachhaltige Lebensgrundlagen zu leisten, da sich das veränderte Wetter auf landwirtschaftsabhängige Gemeinden auswirkt.
3) Sicherstellung, dass Impfstoffe nicht nur erschwinglich und für alle Länder verfügbar sind, sondern auch die nötige Logistik unterstützt wird, um Impfstoffe in jede Ecke der Welt zu bringen.
ShelterBox ist Mitglied von Crack the Crises, einer Gruppe von über 75 britischen Wohltätigkeitsorganisationen, die einen gemeinsamen Aufruf an die Regierungen bei der G7 und COP26 richten, um das Coronavirus, Ungerechtigkeit, Klimawandel und Naturkatastrophen zu bekämpfen.